1934, fünf Jahre bevor Fritz Schlagenhauf jun. 1939 auf die Welt kam, machte sich sein Vater, Fritz Schlagenhauf sen., mit Maler- und Tapezierarbeiten selbstständig. Es war damals Brauch, dass der erstgeborene Sohn gleich wie der Vater hiess und auch naheliegend, dass der Sohn ins Geschäft des Vaters einstieg. Fritz Schlagenhauf Junior trat 1960 in den kleinen Malerbetrieb mit vier Mitarbeitern ein. 1972 konnte er den Betrieb übernehmen. Als er 2004 das Geschäft seinem Sohn Rolf übergab, war der Mitarbeiterstab auf rund 120 Fachleute aus verschiedensten handwerklichen Disziplinen angewachsen.
Herr Schlagenhauf, erwarteten Ihre Eltern von Ihnen, dass Sie eine Malerlehre machen?
Nein, niemand zwang mich dazu. Mein Grossvater mütterlicherseits besass ein grosses, erfolgreiches Bauunternehmen in Zürich. Eine Lehre als Tiefbautechniker schien mir spannender als die Aussicht, einmal ein Budeli mit drei bis vier Mitarbeitern zu übernehmen. Doch meine kluge Mutter warnte mich vor zu viel Familie. Im Bauunternehmen arbeiteten bereits zwei Brüder und eine Schwester meiner Mutter. Leider kam es so, wie meine Mutter befürchtet hatte: das Geschäft musste verkauft werden. Ich konnte mich noch rechtzeitig für eine Malerlehre entscheiden.
Machten Sie die Lehre und die Ausbildung zum Malermeister im elterlichen Betrieb?
Die Lehre machte ich in einem Malergeschäft in Männedorf. Sie dauerte damals dreieinhalb Jahre. Gewerbeschule fand nur im Winter statt. Anschliessend an die Lehre arbeitete ich ein Jahr als Maler in Lausanne. Mir fiel auf, dass im Welschland Maler- und Gipserarbeiten aus einer Hand angeboten wurden. Ich wunderte mich darüber, denn in der Deutschschweiz war das nicht üblich.
1957/1958 verdiente ich in Lausanne CHF 2.40 pro Stunde. Von meinem Lohn trug ich konsequent jeden Monat 100 Franken auf die Bank. Wenn das restliche Geld nicht bis zum nächsten Zahltag reichte, sparte ich beim Essen. Dann gabs Milch und Brot, aber das Ersparte rührte ich nicht an.
Zum Malermeister bildete ich mich im Betrieb meines Vaters weiter. Die Schule konnte ich berufsbegleitend in Zürich besuchen. Statt Module wie heute gab es Vorgaben, die für die ganze Schweiz verbindlich waren. 1963, als ich glaubte, alles Wichtige zu beherrschen, meldete ich mich zur Prüfung in Bern an. Sie dauerte eine ganze Woche. Wenn man bestanden hatte, wurde einem das Diplom sofort ausgestellt. Glücklich konnte ich im Opel Kapitän meines Vaters als eidgenössisch diplomierter Malermeister nach Hause fahren.
Wie viele Stunden pro Woche hat man gearbeitet?
Eine 50-Stunden-Woche war im Sommer normal. Von Montag bis Freitag je neun Stunden pro Tag, am Samstag fünf. Ich war es gewohnt, anzupacken. Schon als Bub musste ich öfters am Samstagnachmittag arbeiten. Mein Vater weichte die Farbkübel in Lauge ein, ich musste sie sauber putzen, damit sie am Montag wieder verwendet werden konnten.
War es einfach für Sie, als Sohn ins elterliche Geschäft einzusteigen?
Es war allen Mitarbeitern klar, dass ich nach dem Militär und dem Abverdienen als Verstärkung dazukommen würde, und man freute sich auf mich.
Hatten Sie einen grosszügigen Vater, der Sie förderte und Ihnen Verantwortung übertrug? So, wie Sie es mit Ihrem Sohn Rolf handhabten?
Mein Vater war grossartig. Er liess mir freie Hand. Ich konnte alles umsetzen, was ich in Sachen Führung im Militär gelernt hatte.
Er unterstützte mich, als ich in Zürich ein kleines Malergeschäft kaufen konnte. Er stellte mir einen Vorarbeiter aus seinem Betrieb zur Seite, und er liess mich den Betrieb auf eigene Rechnung führen, obschon ich noch bei ihm angestellt war.
Etwa zwei Jahre später kaufte ich einen Betrieb in Adliswil, und mein Vater stellte mir wieder seinen besten Vorarbeiter zur Verfügung.
Genau gleich gingen wir bei einem Betrieb in Effretikon vor. Mein Vater hat es mir zwar nie gesagt, aber heute glaube ich, dass er Freude an meinem Innovationsgeist hatte.
Natürlich war nicht immer eitel Sonnenschein. Ich erinnere mich, dass mein Vater fuchsteufelswild wurde, als ich ihm eröffnete, dass ich am Tag darauf für drei Monate nach Madrid für einen Sprachaufenthalt verschwinden würde. Ich durfte es ihm nicht früher sagen. Er hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um mich von meinem Vorhaben abzubringen.
Am letzten Tag meines Aufenthalts in Madrid stellte ich fünf Arbeiter ein, die im Frühling darauf bei uns zu arbeiten begannen. Auch davon sagte ich meinem Vater kein Wort. Alle fünf waren super Arbeiter und blieben über zwanzig Jahre bei uns.
Sie besassen also drei Malerbetriebe und waren im Betrieb Ihres Vaters angestellt. War Ihnen das nicht genug?
Ich wollte unseren Kunden auch andere handwerkliche Leistungen anbieten, doch ich war unsicher, was Erfolg haben könnte. Paris brachte die Erleuchtung!
Paris?
In Paris wollte ich mich in meinem Beruf weiterbilden. Etwas blauäugig reiste ich ohne Arbeitsbewilligung in die französische Hauptstadt. Vor Ort musste ich feststellen, dass die Franzosen dem Schweizer keine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit erteilten.
Deshalb musste ich die Tage auf eine andere Weise gestalten. Ich nahm mir vor, jeden Maler, den ich in der Stadt beim Arbeiten sah, nach seinem Betrieb zu fragen. Arbeitete er in einem grossen Unternehmen, fragte ich nach der Adresse. Dort bat ich, mich auf Baustellen mitzunehmen, damit ich sehen konnte, wie man in Paris arbeitete. Zu meinem grossen Erstaunen erhielt ich keine einzige Absage. So lernte ich die Grossstadt kennen, wurde häufig zum Mittagessen eingeladen und erfuhr, dass die Malerbetriebe dort auch im Gerüstbau tätig waren. Auf diese Art konnte ich meinen Aufenthalt sinnvoll auf drei Monate ausbauen. Wieder in Zürich, konnte ich meinen Vater davon überzeugen, Gerüste zu kaufen. Von Anfang an florierte der Gerüstbau hervorragend!
Und wann kam die nächste Handwerksdisziplin dazu?
Im Grunde per Zufall. Ich kontrollierte unsere Arbeiten im Roten Schloss in Zürich. Ein Anwalt, der sich auf die Beratung von konkursiten Firmen spezialisiert hatte, besass dort eine Kanzlei. Ein Wort gab das andere und schliesslich wurde ich gefragt, ob ich nicht einen Gipserbetrieb übernehmen möchte. Weil ich wusste, dass es im Welschland gang und gäbe war, Maler- und Gipserarbeiten aus einer Hand anzubieten, sagte ich nach kurzer Überlegung zu. Und es funktionierte!
Schon bald wollte ich auch Aussenisolation und Fassadenbau anbieten und dafür gute Arbeiter bei Eternit schulen lassen. Eternit weigerte sich jedoch, uns als Malerbetrieb Material zu liefern. Das Unternehmen liess sich erst umstimmen, als sie unsere Umsatzzahlen schwarz auf weiss überprüfen konnten.
Erinnern Sie sich noch, wann die erste junge Frau Malerin werden wollte?
Ich bin erleichtert, dass ich nur ein einziges Mal mit dieser Frage konfrontiert wurde. Eine entfernte Verwandte wollte bei uns eine Lehre beginnen, doch ich war dagegen. Damals war ich überzeugt, dass eine Frau Unruhe in den Betrieb bringen würde. Erst unter der Leitung von Rolf wurde es selbstverständlich, Malerinnen auszubilden. Ich bin sehr froh darüber, denn alle Frauen, die wir beschäftigen, machen einen prima Job. Vielleicht war ich eben doch zu sehr in meiner Generation gefangen.
Heute spricht man überall von Fachkräftemangel. Wie war das in den 70er und 80er Jahren?
Wir hatten tüchtige, hochmotivierte Saisonniers aus Italien, Spanien und Portugal. Später auch aus den Oststaaten. Ich darf gar nicht daran denken, was mit unserem Betrieb, mit der Wirtschaft in der Schweiz im Allgemeinen, passiert wäre, wenn die Schwarzenbach-Initiative 1970 angenommen worden wäre.
Ein anderes Schlagwort ist Work-Life-Balance. Beruf und Privatleben sollten im Gleichgewicht sein. War das bei Ihrer Arbeitsbelastung möglich?
Ich war morgens um 6.00 Uhr der Erste im Geschäft und irgendwann abends oder nachts der Letzte. Das war nur möglich, weil meine Frau Martha mir jederzeit den Rücken freihielt und unser Privatleben mit den Kindern ohne mein Zutun organisierte. Ich kann ihr dafür gar nicht genug danken.
Für etwas habe ich aber immer gesorgt: ich hatte die besten Geschäftsführer. Sie vertraten mich jederzeit optimal. So konnten meine Frau und ich, viele Jahre auch zusammen mit unseren drei Kindern, unbeschwert in die Ferien fahren. Verrückte Reisen machte ich auch alleine. Meine Work-Life-Balance war im Lot, auch wenn es dieses Wort früher noch nicht gab.
Heute läuft bei der Planung nichts mehr ohne Computer. Hat sich im EDV-Zeitalter auch das Handwerk verändert?
Vielleicht sind die Werkzeuge ergonomischer geworden und die Arbeitszeit ist kürzer. Doch das Handwerk an und für sich ist und bleibt analog. Das Know-how, die Freude an der Arbeit mit den Händen und die Zufriedenheit über das Resultat werden sich wohl nie ändern. Ich erlebe diese Freude heute täglich, wenn ich unterwegs bin. In diesem Haus haben wir die Böden und die Fassade erneuert, in der nächsten Überbauung wurden durch unsere Gebäudehüllensanierung hunderte von Litern Öl gespart, dort sprach man noch lange über die gewagte Fassadenfarbe, die bereits Nachahmer gefunden hat, das Kloster Engelberg erstrahlt wie neu durch unsere Arbeit … Am liebsten würde ich gar nicht aufhören mit Aufzählen.
Sie sagen, Sie seien ein Patron gewesen. Was ist der Unterschied zwischen einem Manager und einem Patron?
Ein Manager führt zum Beispiel by delegation, by objectives, by systems und was der mir unverständlichen Führungsmethoden mehr sind. Er ist dem VR-Präsidenten Rechenschaft schuldig, muss hinterfragen, abwägen, sich politisch absichern, viele Konzepte ausarbeiten, die dann häufig nicht realisiert werden.
Ein Patron entscheidet schnell, erarbeitet Ziele im Team und terminiert Meilensteine. Er will Resultate sehen. Er legt vielleicht nicht jedes Wort auf die Goldwaage, doch er ist da, wenn es ihn braucht. Er kennt seine Mitarbeitenden und sieht in ihnen nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch den individuellen Menschen. Leider gehört er zu einer aussterbenden Gattung.
Dieses Jahr feiert Schlagenhauf, das bekannte Unternehmen mit dem Schriftzug am supermodernen Geschäftshaus an der Seestrasse, den zwei blauen Balken und den omnipräsenten Autos sein 90-jähriges Jubiläum. Sie dürfen stolz sein!
Ich bin kein stolzer Mensch. Ich bin einfach glücklich und zufrieden über das, was wir mit vereinten Kräften geschaffen haben. Es war nicht immer einfach, aber immer spannend.
Bis zu unserem Einzug 2002 ins neue Geschäftshaus hatten wir zum Beispiel zehn Magazine, die überall in Meilen zerstreut lagen. Das Unternehmen mit rund hundert Mitarbeitenden hatte seinen Sitz am Bahnweg 133, wo unsere Familie lange Zeit auch wohnte. Auf dem Dach war eine riesige Funkantenne installiert, die Funkverbindungen in die Betriebe nach Zürich, Effretikon und Adliswil ermöglichte.
Vielleicht würde man heute von Understatement sprechen, doch ich bin immer noch überzeugt davon, dass es richtig war. Liefere statt lafere! Ich war und bin eben ein Patron alter Schule.
Was würden Sie in die Glückwunschkarte an das 90-jährige Unternehmen schreiben?
Lieber Rolf, ich wünsche dir, dass du dereinst die Firma in ebenso kompetente Hände übergeben kannst, wie ich das vor zwanzig Jahren tun konnte.